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Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis B
3. November 2018
Evangelium: Mk 12,28b-34

„Dein Glaube muss auf einen Fingernagel passen!“

So ähnlich haben wir vor Jahren in der Jugendarbeit immer wieder gesprochen.

  • Es taugt nichts, Tausende von Seiten von Enzyklopädien zu füllen, um den Glauben zu erklären. Die werden nicht gelesen.
  • Noch weniger taugt es, möglichst gescheit über Religion zu sprechen. Es wird heute eh viel zu viel geredet.

Und überhaupt: Wer kann in all der Medienflut und in all dem, was durch das Fernse-hen, das Internet oder die sozialen Medien auf uns herabprasselt, noch den Über-blick behalten?

Auf einen Fingernagel muss es passen, was du von deinem Glauben zu erzählen hast. Kurz muss es sein und verständlich.

Vielleicht steckt ein ähnlicher Gedanke hinter dem, was den Schriftgelehren hin zu Jesus führt und ihn zur Frage nach dem wichtigsten Gebot bewegt. Er hat in seiner Ausbildung so vieles gehört, er weiß von den Hunderten von Geboten und Verboten, die man beachten soll. Vielleicht schwirrt ihm deshalb der Kopf und er will es mit wenigen Worten wissen: „Welches Gebot ist das erste von allen?“

Und Jesus bringt es auf den Punkt: „Höre, Israel,“ - er spricht wie ein Lehrer - „Höre, Israel, der Herr unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Selle, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“

Das passt auf einen Fingernagel, das kann man sich ohne Probleme merken: Liebe Gott und den Nächsten wie dich selbst! Der Schriftgelehrte ist begeistert: „Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du es gesagt!“

Jesus bestätigt die Aussage seines Gegenüber: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“

Wir haben also im heutigen Evangelium ein kurzes Gespräch angehört, das aber ganz viel in sich trägt. Ich finde, es taugt auch für uns und für unsere Zeit: Das erste Gebot von allen - auch im 21. Jahrhundert, im Jahre 2018 - ist: Gott und den Menschen zu lieben, wie sich selbst.

Für mich heißt das:

  1. Gott sehen und unter seinen Augen leben. Ihn sehen als den guten und barmherzigen Vater, der jedes seiner Kinder mit Namen kennt und jedes so lieb hat, wie er seinen Sohn Jesus Christus liebt. Unter dem Blick dieses liebenden Vaters lässt sich leben und handeln.
  2. Den Nächsten sehen und erkennen: Den Nächsten in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, auf der Straße. Ihm Aufmerksamkeit schenken, nicht als Aufseher, sondern als einer, der mit offenen Augen und einem offenen Herz erkennen kann, wie es dem Anderen geht.
  3. Und das Dritte: Sich selbst zu lieben. Das fällt manchem doch sehr schwer. So mancher leidet unter seinen eigenen Unzulänglichkeiten, Fehlern und Sünden. Dennoch: Ich darf und soll auch Ja zu mir sagen, weil es Gott selbst tut. So viele Bibelstellen erzählen davon. Ich will nur eine nennen: „Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.“ So lesen wir beispielsweise im Buch Jesaia (Jes 49,16). Was über den Gottesknecht gesagt wird, das dürfen wir auch auf uns selbst übertragen.

Gott und den Menschen lieben, wie sich selbst.

Ich denke, damit können auch wir heute leben. Es gilt, dieses erste und wichtigste Gebot jeden Tag neu in kleine Münzen umzusetzen. Nennen wir es vielleicht „Aufmerksamkeit“. Aufmerksamkeit für Gott, für den Menschen und für uns selbst.

Wir feiern heute das Patrozinium unserer Kirche, das Fest des Heiligen Karl Borromäus. Ich sehe ihn als einen sehr aufmerksamen Menschen, der den Blick auf Gott und für die Menschen hatte und sich nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten einbrachte.

Karl Borromäus wurde 1538 als Sohn des Grafen Gilberto Borromeo und der Patrizierin Margherita Medici geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften wurde er Sekretär seines Onkels, des Medici-Papstes Pius IV. Vor ihm lag eine große Karriere. 1560 wurde er Kardinaldiakon und Administrator des Erzbistums Mailand. Erst drei Jahre später empfing er die Priester- und Bischofsweihe.

Karl Borromäus wird gerühmt als ein Mann der unermüdlichen Arbeit und des Gebetes, der sich vom Glanz seiner Karriere nicht blenden ließ. Er schonte sich nicht. Es wird berichtet, dass er im Jahre 1576, als in seiner Bischofsstadt Mailand die Pest ausgebrochen war, persönlich für die Armen und Kranken sorgte. Er blieb in der Stadt, setzte sich nicht - wie andere Reiche - aus der Gefahrenzone ab und blieb bei den ihm anvertrauten Menschen. Im Alter von 46 Jahren starb er acht Jahre später. Seine Kräfte waren vollkommen aufgebraucht.

Karl Borromäus wusste, was er konnte und er setzte ein, was ihm möglich war. Mir scheint, dass er sein Leben sehr bewusst gelebt hat - aus Liebe zu Gott, zu den Menschen und aus Treue zu seiner eigenen, höchstpersönlichen Berufung. Sonst hätte er einen anderen Weg eingeschlagen. Er hätte - wie so viele - zuerst einmal „ seine Schäfchen ins Trockene gebracht“, ehe er sich um andere gekümmert hätte. Doch danach stand nicht sein Sinn.

Gott und den Menschen zu lieben, wie sich selbst.

Wir dürfen Hochachtung haben vor diesem außergewöhnlichen Mann und Bischof. Eine Hochachtung, die sich aber auch darin ausdrücken darf, dass wir versuchen, aus unserem Leben etwas Gutes zu machen, nämlich aufmerksam zu sein auf Gott, auf die uns nahestehenden Menschen, ja, aufmerksam zu sein auf uns selbst.

Jesus hat dem Schriftgelehrten, der ihm anscheinend sympathisch war, ein schönes Wort mitgegeben: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“ Ich möchte dieses Wort Jesu in unsere Zeit übersetzen und sagen: Wenn du so handelst, also Gott und den Nächsten zu lieben wie dich selbst, dann gehst du den richtigen Weg!

  • Geben wir Gott die Chance, uns den Weg zu führen, indem wir uns um Aufmerksamkeit bemühen.
  • Und geben wir uns die Chance, das Reich Gottes auch in unserem Leben ein wenig Wirklichkeit werden zu lassen.

Vielleicht passt das Wort Jesu vom ersten Gebot ja auch auf unseren Fingernagel, dass wir es nicht vergessen und uns immer wieder darum bemühen. Möge Gott uns dazu seinen Heiligen Geist schenken. Amen.

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