Predigt am 7. Ostersonntag im Jahreskreis C

2 Juni 2019

Evangelium: Joh 17,20-26

Ein ganz spezielles Gotteshaus ist die Grabeskirche in Jerusalem. Sie bildet seit vielen Jahrhunderten eine ganz besondere Wohngemeinschaft: Sechs Konfessionen sind unter oder auf dem Dach vertreten: Griechen, Lateiner, Armenier, Syrer, Kopten und Äthiopier. Andere Konfessionen sind nicht zu finden, die kamen ein bisschen zu spät, als 1852 die Besitzrechte verbindlich aufgeteilt wurden.

Seitdem wachen die verschiedenen christlichen Konfessionen eifersüchtig über jeden Winkel der Grabeskirche in Jerusalem. Doch die Hoheit über die Schlüssel zum heiligsten Ort der Christenheit liegt in den Händen einer muslimischen Familie – und das schon seit Jahrhunderten.

Der Vorhof zur Jerusalemer Grabeskirche ist selten still und andächtig. Denn zum heiligsten Ort der Christenheit strömen allein oder in Reisegruppen täglich aus aller Welt Tausende Gläubige. Tritt man in die Kirche ein, liegt vor einem der Balsamstein, auf dem der tote Leib des Heilands zur letzten Salbung gelegen haben soll. Heute knien dort Gläubige nieder, küssen den Stein, reiben Kleidungsstücke daran, um den Steingeruch aufzunehmen.

Etwas abseits des Balsamsteines, gleich neben dem linken Flügel der schweren hölzernen Eingangstür, kann man oft einen älteren Mann treffen, der auf einer Holzbank sitzt und den Gläubigen zuschaut. Der Name des Mannes ist Wajeeh Nuseibeh. Herr Nuseibeh hat eine besondere Aufgabe an diesem Ort. Er sagt:

Wir sind eine muslimische Familie, und wir haben die Schlüssel zur Grabeskirche seit dem siebten Jahrhundert zuerst vom Kalifen. Einer aus unserer Familie bekam den Schlüssel, der dann vom Vater zum Sohn immer weitergegeben wurde, bis die Kreuzfahrer kamen. 88 Jahre lang hatten sie den Schlüssel. Dann gab ihn uns Saladin.“

Und hören wir nun Jesus im Evangelium:

„Sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.“

Fast fremd und verstörend wirkt für mich dieses Wort, denke ich an die altehrwürdige Kirche in der Altstadt von Jerusalme. An diesem uralten Ort der Wünsche und Hoffnungen menschelt es doch viel zu sehr.

Vom Verstand her wissen wir das, dass wir zusammen halten sollen - als Christen, wie überhaupt als Menschen. Doch unser Alltag, wie auch der Alltag der Grabeskirche kann uns  vor Augen halten, dass wir das Eins-Sein oftmals erst lernen müssen.

Machen wir uns nichts vor: Der Geist Gottes ist ein Geist der Einheit und der Liebe. Alles Tun, das nicht zur Einheit und zur Liebe führt, kommt vom „Diabolos“, ins Deutsche übersetzt: vom „Durcheinanderwerfer“, vom „Spalter“, dem Teufel.

Von daher dürfen oder müssen wir uns von Jesus das Ziel vorgeben lassen: Eins-Sein in der Liebe zu Gott und untereinander. Gerade in den Tagen vor dem Pfingstfest darf dies in besonderer Weise unser Gebet sein. Wir beten um Gottes Geist, der in uns und durch uns Einheit schafft.

Doch wie geht das?

Aus unserer christlichen Überzeugung heraus dienen wir dem Leben der Menschen, wo immer wir den Menschen begegnen, wer immer es auch ist, mit dem wir zusammen sind. Dem Leben der Menschen dienen:

  • Das tun Mütter und Väter in Ihren Familien!
  • Das geschieht in unseren Verantwortungsbereichen in Beruf und in der Freizeit!
  • Ja, das tun wir auch in unseren Vereinen und Gruppen!

Dem Leben der Menschen dienen, Einheit suchen und Einheit schaffen, statt Vereinsamung zu akzeptieren: Nehmen wir die Vorgabe Jesu aus dem Evangelium auf! Er selbst ist es, der die Gemeinschaft mit uns stiftet, indem er sein Leben hingibt.

  • In der Einheit mit Jesus Christus sind wir Kirche.
  • In der Einheit mit Jesus Christus sind wir Christen.

Doch Kirche ist so unendlich menschlich! Wir Christen sind oft so erschreckend unchristlich!

  • Da gibt es Streit und Eifersüchteleien.
  • Da fühlen sich manche nicht richtig verstanden.
  • Da träumen welche von der „guten alten Zeit“ und verschiedene Gruppen beschuldigen sich des Verrats am Glauben .

Und? Sollen wir deshalb die Flinte ins Korn werfen? Sollen wir Jesus beichten, wir kriegen's nicht hin mit deiner Kirche, wir sind unfähig, Kirche in der Zukunft zu sein?

Oh, das klingt verlockend! Mancher suhlt sich gerne in Resignation. Dass wir uns zurückziehen, das Gesangbuch zuklappen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, das scheint doch manchem die Lösung zu sein.

Nein, das ist es aber nicht! Wie sagt Jesus?

„Gerechter Vater, ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.“

Wir vertrauen auf Jesus und wir bleiben seine Gemeinde. In aller Schwachheit kommt seine Kraft zur Geltung. Wir, die Kirche von heute, haben einen Auftrag: Eins sollen wir sein. Und es geht! Kirche geht!

So viele Menschen bezeugen dies in der langen Geschichte der Kirche:

  • Wir haben in der Apostelgeschichte von Stefanus gehört, der für seinen Glauben sein Leben opfert. Er tut es wie Jesus selbst: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Das waren seine letzten Worte.

 Kirche geht im Verzeihen!

Weiter:

  • Unzählige Märtyrer und Heilige der Kirche, wie z.B. Mutter Teresa von Kalkutta, haben trotz aller Hindernisse und eigenen Unzulänglichkeiten schlicht und einfach das Evangelium gelebt, so wie sie es verstanden haben und so wie es ihnen möglich war.

Kirche geht - in der Liebe zu den Menschen.

Ich denke, dass uns Papst Franziskus dabei ein ganz großes Vorbild ist. Es macht mir Mut, zu sehen, wie er auf Menschen zugeht und sich dabei so manche Kritik gefallen lassen muss, dass er die Lehre der Kirche verraten würde. Wer menschlich ist, wer für die Menschen kämpft, besonders für die Armen, der kann Jesus und seine Lehre nicht verraten, der ist ganz nahe am Menschen und ganz nahe bei Gott.

Viele Wege gibt es dazu. Doch es gibt ein Zentrum: Jesus. Wir alle - Sie und ich - verantworten uns einzig und allein vor ihm. Das macht mir Mut für die Zukunft.

Auch wenn es viel Durcheinander gibt, auch wenn es Stress bedeuten mag, wie z.B. das Durcheinandergewusel der verschiedenen Konfessionen in der Grabeskirche. Diese ist und bleibt der Ort der Kreuzigung Christi und seiner Auferstehung. Er, Jesus Christus, ist es, der auch unsere Mitte ist und er macht uns zu seiner Kirche - für die Menschen. Möge er unsere Schritte lenken!

Amen.